Low-Carb-Diäten sind nicht nur zum Abnehmen sehr beliebt, sondern werden auch von Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa immer wieder ausprobiert um die Entzündung im Darm in den Griff zu bekommen.
Die Idee eine kohlenhydratarme Ernährung zur Behandlung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen einzusetzen, kommt von dem 2010 verstorbenen, österreichischen Arzt Wolfgang Lutz.
Er behauptete mehr als 10.000 Patienten mit dieser Diät behandelt und auch zahlreiche Autoimmunerkrankungen, wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Multiple Sklerose, damit geheilt zu haben.
Ich leide seit über 10 Jahren unter Colitis ulcerosa und habe kurz nach meiner Diagnose mit großem Interesse sein Buch „Leben ohne Brot“ gelesen und seine Ernährungsvorschläge ausprobiert.
Wie von Lutz empfohlen, aß ich nur noch 6 Broteinheiten (72 Gramm Kohlenhydrate) am Tag. Meine Ernährung bestand nur noch aus fett- und eiweißreichen Lebensmitteln, wie Fisch, Fleisch und Eiern, ergänzt mit kohlenhydratarmen Gemüsesorten.1
Milchprodukte sind bei der Lutz-Diät zwar erlaubt, aber da ich wusste, dass ich sie nicht vertrage, ließ ich sie weg.
Nachdem ich immer müder und kraftloser wurde und meine Colitis-Symptome sich auch nicht besserten, habe ich den Versuch nach wenigen Monaten abgebrochen und die Idee der Lutz-Diät noch einmal etwas kritischer hinterfragt.
Heute bin ich der Meinung, dass die Lutz-Diät, wie jede andere Low-Carb-Diät, bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, nicht nur wirkungslos, sondern auch gefährlich ist!
In diesem Artikel möchte ich auf die größten Widersprüche und Ungereimtheiten der Lutz-Diät eingehen, damit Du dir eine eigene Meinung darüber bilden kannst, ob diese Ernährungsweise die Symptome bei CED lindern oder die Krankheit sogar heilen kann.
Die „Crohn-Studie V“: Beweis für die Wirksamkeit der Lutz-Diät bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa?
Das Buch „Leben ohne Brot“ ist voller Anekdoten über großartige Behandlungserfolge. Die einzige wissenschaftliche Überprüfung der Lutz-Diät erfolgte aber mit der 1996 veröffentlichten Crohn-Studie V.
Sie sollte mit Hilfe von modernen, wissenschaftlichen Grundsätzen die Rolle von Kohlenhydraten bei Morbus Crohn abklären.
Es handelte sich bei der Crohn-Studie V um eine randomisierte kontrollierte Studie. Dieses Studiendesign gilt als „Goldstandard“ in der evidenzbasierten Medizin, wenn es darum geht die Wirksamkeit von medizinischen Behandlungen zu beurteilen.
Die Studie entstand unter Mithilfe der Deutschen Morbus-Crohn-Colitis-ulcerosa-Vereinigung (DCCV) und untersuchte nicht nur die Wirksamkeit einer kohlenhydratarmen Ernährung, sondern auch der Gabe von Omega-3-Fettsäuren für die Remissionserhaltung bei Morbus Crohn.2
204 Morbus Crohn-Patienten nahmen an der Studie teil, nachdem sie einen akuten Rückfall hatten und nach hochdosierter Cortisongabe in Remission waren.
Von den 204 Teilnehmern erhielten 70 Patienten 5 Gramm Omega-3-Fettsäuren, 65 ein Plazebo, und 69 machten die kohlenhydratarme Lutz-Diät.
Die Studiendauer betrug 1 Jahr.
Lutz bezieht sich in „Leben ohne Brot“ auf diese Studie als ultimativen Beweis für die Wirksamkeit seiner Diät und führt an, dass bereits nach 90 Tagen die Diätgruppe besser abschneidet als die Plazebogruppe und nach 200 Tagen in der Diätgruppe kein einziger Rückfall mehr auftritt.
Das klingt zunächst nach einem beeindruckenden Erfolg für die Lutz-Diät, aber er verschweigt dabei eine entscheidende Tatsache.
In dem Buch „Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Handbuch für Klinik und Praxis“ — ein wissenschaftliches Standardwerk bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa — bin ich auf einen interessanten Widerspruch zu der Interpretation von Lutz gestoßen.
Dort heißt es zu der Crohn-Studie V:
…fand sich in der Diätgruppe eine höhere Zahl von Studienabbrechern, ohne dass sich die Remissionsrate unterschied.3
Warum sind die Autoren dieses Buches der Meinung, dass die Lutz-Diät nicht wirksam war, während Lutz sie als Erfolg feiert?
Der Grund liegt darin, dass Lutz die Studienabbrecher in seiner Interpretation nicht berücksichtigt hat!
Wenn Teilnehmer in der Diätgruppe die Studie vorzeitig beenden, weil z.B. die Diät bei ihnen nicht funktioniert hat, muss man diese Studienabbrecher auch in der Endauswertung berücksichtigen, damit das Ergebnis nicht geschönt wird.
Deshalb macht man bei Studien dieser Art eine sogenannte Intention-to-treat-Analyse, d.h. man berücksichtigt in der Auswertung der Daten alle Patienten — auch die, welche die Studie abgebrochen haben.
Im Scandinavian Journal of Gastroenterology, in dem die Ergebnisse der Crohn-Studie V veröffentlicht wurden, kommt man zu dem Schluss, dass die Intention-to-treat-Analyse keinen erkennbaren Unterschied zwischen der Diätgruppe und der Plazebogruppe gezeigt hat.2
Dafür, dass das Buch „Leben ohne Brot“ den Untertitel „Die wissenschaftlichen Grundlagen der kohlenhydratarmen Ernährung“ trägt, hat es der Autor mit der Interpretation der wissenschaftlichen Ergebnisse nicht sonderlich genau genommen.
Es ist aber nicht nur die Interpretation der Crohn-Studie V, die mir in dem Buch sauer aufgestoßen ist, sondern auch die Argumente, warum eine vorwiegend tierische Ernährung, fast ohne Kohlenhydrate, angeblich optimal für uns Menschen sein soll.
Wie bei vielen anderen Low-Carb-Büchern, wird auch in „Leben ohne Brot“ auf die angeblich so gesunde Ernährung der Eskimos hingewiesen. Aber auch hier zeigt sich bei einem Blick auf die wissenschaftlichen Studien zu dem Thema, dass dies absoluter Unsinn ist!
Das Eskimo-Vorbild: Mit Fisch und Fleisch gegen CED?
Lutz betont in seinem Buch, dass sich seine Vorstellungen über die perfekte Ernährung des Menschen mit den Ansichten des Polarforschers Vilhjálmur Stefánsson decken.
Stefánsson, verbrachte zwischen 1904 und 1918 viel Zeit bei den kanadischen Eskimos und war fasziniert von der Ernährung der Inuit, die zu rund 90 % aus Fisch und Fleisch bestand.
Die ausschließlich tierische Nahrung sorgte gemäß Stefánsson dafür, dass die Inuit keine Zivilisationskrankheiten, wie Blutdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs und Fettleibigkeit hatten.
Nachdem er merkte, dass auch er und seine Begleiter diese „Null-Kohlenhydrate-Diät“ völlig gesund überstanden, versuchte er mit einem Begleiter in einer einjährigen Studie, unter Aufsicht der größten Ärztevereinigung Amerikas, zu beweisen, dass sich Menschen problemlos nur von Fleisch ernähren können.
Die Tatsache, dass beide Männer die Studie ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen überstanden, ist für Lutz und andere Low-Carb-Befürworter der Beweis dafür, dass wir als Menschen auf eine kohlenhydratarme und tierische Nahrung ausgelegt sind und uns so ernähren müssen, wenn wir gesund bleiben wollen.
1 Jahr nur Fleisch essen ohne negative Folgen? Kaum zu glauben, oder!
Und wenn man sich, wie der Autor dieses Videos, die Mühe macht die Studien über das Experiment auch zu lesen, ist es auch schlicht und einfach gelogen.
Das Experiment war tatsächlich ein Beweis dafür, dass diese kohlenhydratfreie Fleisch-Diät innerhalb kurzer Zeit krank macht!
Stefánsson litt schon 3 Tage nach Beginn des Experimentes unter Übelkeit und Durchfall und nachdem man kurz danach der Diät noch fetteres Fleisch hinzufügte, litt er 10 Tage lang unter hartnäckiger Verstopfung.
Kein Wunder, dass von ihm das Zitat stammt:
Gemüse und Früchte zu essen, ist wie eine Form von Religion.
Vielleicht war diese Einstellung auch der Grund dafür, dass Stefánsson schon vor der Diät unter Verstopfung litt und gelegentlich Abführmittel benutzen musste. Das ist die logische Folge einer Diät völlig ohne Ballaststoffe!
Noch schlimmer traf es aber den 2. Studienteilnehmer Anderson.
Er bekam 1 Monat nach Beginn des Experiments eine leichte Rachenentzündung. Und nachdem er kurz darauf 100 Gramm Glukose für einen Glukosetoleranztest trank, bekam er 40 Grad Fieber und eine Lungenentzündung.
Bis die Lungenentzündung abgeklungen war, unterbrach er die Fleisch-Diät und aß reichlich Kohlenhydrate! Auch vor und nach dem Experiment aß er eine gemischte Kost mit Kohlenhydraten. Besonders überzeugt von dem Segen der Fleischdiät war er anscheinend nicht.
Vielleicht sagte ihm einfach sein gesunder Menschenverstand, dass es ziemlicher Mumpitz ist nur Fleisch zu essen!
Was ich aber am bemerkenswertesten finde, ist die Tatsache, dass beide Teilnehmer nach der Studie eine gestörte Glukosetoleranz hatten. Das heißt sie litten unter einer Vorstufe von Diabetes Typ 2 und waren nicht mehr in der Lage den Zucker aus der Nahrung richtig zu verwerten.
Bei Anderson war es sogar so ernst, dass er unter Glukosurie litt, d.h. er hatte Zucker im Urin. Das ist ein ernstes Problem, das eigentlich nur bei unbehandeltem Diabetes auftritt!
Die Ironie der Studie ist, dass sich der Zuckerstoffwechsel von Stefánsson und Anderson wieder normalisierte, nachdem sie nach der Studie wieder eine gemische Kost mit Kohlenhydraten aßen.
Sie wurden also ausgerechnet durch die bösen Kohlenhydrate wieder geheilt, die Lutz in seinem Buch für Erkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, verantwortlich machte!
Die kohlenhydratarme Diät machte aber nicht nur Stefánsson und Anderson krank, sondern auch die Eskimos, die sich traditionellerweise so ernährten.
1936 wurde eine Studie veröffentlicht, die zeigte, dass bei Eskimos mit hohem Fleischkonsum Glukoseintoleranz die Regel war und 14,5 % der Eskimos zwischen 19-25 Jahren nierenkrank waren.
Wie zur Hölle kommt man aufgrund dieser Ergebnisse auf die Idee die Ernährung der Eskimos und der Stefánsson-Studie für die Heilung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa zu empfehlen?
Vielleicht wurden die Ergebnisse der Studie von Stefánsson deshalb falsch dargestellt, weil die Studie teilweise von der Fleischindustrie finanziert wurde?
Warum auch immer…
Würdest Du mit dem Wissen der oben genannten Fakten die Lutz-Diät für die Behandlung oder Heilung von Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa empfehlen?
Fazit
Ich will nicht bezweifeln, dass es auch Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa gibt, die mit der Lutz-Diät ihre Symptome gebessert oder sogar eine Remission erreicht haben.
Ich denke nur, dass der Grund für den Erfolg nicht die Kohlenhydratarmut der Diät war. Es gibt noch eine Menge anderer Gründe, warum die Diät funktionieren kann, obwohl sie eigentlich ungesund ist.
Es kann zum Beispiel sein, dass ein Patient mit CED eine Weizenallergie, Glutenunverträglichkeit oder sogar Zölliakie hat.
Da man bei der Lutz-Diät überhaupt kein Getreide essen darf, bessern sich die Symptome dann natürlich. Das ist aber kein Beweis für die Wirksamkeit der kohlenhydratarmen Lutz-Diät, sondern würde auch passieren, wenn man nur Weizen und glutenhaltige Getreide weglässt und durch Quinoa, Hirse oder Buchweizen ersetzt.
Darüber hinaus zeigen aktuelle Studien, dass eine Low-Carb-Diät den Cortisolspiegel erhöhen kann, weil der Körper mit Stress reagiert, wenn er zu wenig Kohlenhydrate bekommt.
Da das Stresshormon Cortisol entzündungshemmend wirkt, kann ich mir vorstellen, dass sich die Darmentzündung eventuell auch dadurch bessert. Deshalb wird das Medikament Cortison ja auch bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa verschrieben!
Aber sollte man deshalb eine Extrem-Diät machen, die Stress für den Körper ist, nur um als Nebenwirkung eine Entzündungshemmung durch die freigesetzten Stresshormone zu erreichen?
Langfristig wird man seiner Gesundheit damit eher schaden. Wer schon einmal länger Cortison in hohen Dosen genommen hat, kennt die starken Nebenwirkungen dieses Medikaments.
Am Ende solltest Du aber ohnehin immer auf die Signale deines Körpers hören!
Ich weiß z. B. aus Erfahrung, dass ich keine Milch oder sehr fettreiche Lebensmittel vertrage, aber dafür sehr gut gekochtes Getreide mit viel löslichen Ballaststoffen, wie Hafer.
Wenn ich ein Beispielabendessen aus „Leben ohne Brot“ mit Käseplatte, Eiern, kaltem Braten und Schwarzbrot sehe, bekomme ich schon vom Lesen Durchfall.
Die Lutz-Diät kann ich also weder aus Erfahrung noch aufgrund der wissenschaftlichen Daten empfehlen.
Wenn Du dich für wissenschaftliche Studien zur Ernährung bei CED interessierst, gibt es deutlich bessere Studien als die Crohn-Studie V .
Hier findest Du z. B. einen Artikel von mir über eine japanische Studie zur Remissionserhaltung bei Morbus Crohn mit Hilfe einer semi-vegetarischen Ernährung. 92 % der Morbus Crohn-Patienten, die diese Diät befolgten, waren nach 2 Jahren noch in Remission!
Wenn Du selbst Erfahrungen mit der Ernährung bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa gemacht hast, würd‘ ich mich über deine Meinung freuen.
Schick‘ mir einfach eine Mail oder hinterlasse einen Kommentar. Unter dem Namen „Feuer im Darm“ findest Du mich auch auf Facebook.
Quellen:
- 1 Wolfgang Lutz, Leben ohne Brot: Die wissenschaftlichen Grundlagen der kohlenhydratarmen Ernährung, 2007 INFORMED Presse- & Werbe GmbH, Fachverlag für Medizin, 16. Auflage, S. 238-39
- 2 Lorenz Meyer H et al., Omega-3 fatty acids and low carbohydrate diet for maintenance of remission in Crohn’s disease. A randomized controlled multicenter trial. Study Group Members (German Crohn’s Disease Study Group)., Scand J Gastroenterol, August 1996, (Omega-3-Fettsäuren und kohlenhydratarme Ernährung für die Remissionserhaltung bei Morbus Crohn. Eine randomisierte, kontrollierte Multicenter-Studie. Studiengruppenteilnehmer (Deutsche Morbus Crohn Studiengruppe)
- 3 Hoffmann Jörg C et al., Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Handbuch für Klinik und Praxis, 2009 Georg Thieme Verlag KG, 2. Auflage, S. 265